Tim Habicht: Sind die goldenen Multi-Asset-Zeiten vorbei?
Ingmar Przewlocka: Es ist generell vielleicht insgesamt etwas schwieriger geworden und es gibt inzwischen andere Themen, die die Headlines treiben. Aber die Grundidee des langfristigen Vermögensaufbaus durch unterschiedliche Investment-Phasen und -Zyklen rechtfertigt immer noch ein breit aufgestelltes Multi-Asset-Portfolio. Nach den Jahren 2008 und 2009 sind nahezu alle Anlageklassen positiv gelaufen und daher sind viele Multi-Asset-Produkte aufgrund ihrer starken Performance auch in den Fokus der Anleger gerückt. Aber eigentlich ist Multi Asset ein Core-Produkt, das keiner Mode unterliegen und immer allokiert sein sollte.
Alexander Pirpamer: Das Multi-Asset-Thema wird häufig dann aufgegriffen, wenn die Renditen nicht so toll sind. Goldene Zeiten für Multi Asset waren immer dann, wenn die Inflation niedrig war. In 2022 hatten wir eine hohe Inflation und auch eine hohe Korrelation zwischen Aktien und Anleihen und direkt werden Multi-Asset-Strategien wieder angezählt. Es ist immer ein auf und ab. Das Grundprinzip von Multi-Asset-Strategien ist die Diversifikation; deswegen war, ist und wird Multi Asset auch immer erfolgreich sein. Denn niemand kennt die Zukunft. Deswegen sind Investoren immer gut aufgestellt, wenn sie breit diversifiziert sind.
Habicht: … außer in 2022!
Pirpamer: Solche Jahre muss es auch geben und gehören zu einem Investment-Zyklus dazu.
Carsten Hermann: Multi Asset hat keinen Selbstzweck, sondern ist Mittel zum Zweck. Der Kunde steht im Mittelpunkt. Insofern müssen Multi-Asset-Fonds die Erwartungen der Kunden erfüllen. In Niedrigzinsphasen haben viele Mischfonds durch einfache Strukturen hohe Renditen eingefahren. Spätestens im Jahr 2022 hat sich aber auch gezeigt, welche Multi-Asset-Strategien wirklich diversifiziert aufgestellt waren und einen Mehrwert für die Kunden geliefert haben. Denn Multi Asset über mehrere Assetklassen hinweg besteht nicht nur aus Aktien, Anleihen und Kasse.
Pirpamer: Die alte Welt aus 60 Prozent Anleihen und 40 Prozent Aktien hat sehr lange und teilweise über Jahrzehnte funktioniert. Aber diese alte Welt ist künftig vorbei.
Luca Pesarini: Extrem wichtig ist aber auch, dass die richtigen Kunden auch die Multi-Asset-Produkte kaufen. Wir dürfen Mischfonds nicht als Alleskönner verkaufen, der in jeder Marktphase immer Geld verdienen wird. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Botschaften richtig setzen. Aber ich habe noch einen Gegenpunkt zu meinen Vorrednern: Unsere Kundschaft möchte einfache Bausteine und Produkte bestehend aus Aktien, Anleihen und Kasse. Das Portfolio und das Ergebnis müssen transparent, einfach und verständlich sein.
Przewlocka: Wir sehen das Problem doch jetzt schon in dieser Diskussion: Multi Asset ist kein geschützter Begriff. Multi Asset kann unterschiedlich strukturiert und aufgebaut sein. Eins müssen alle Produkte aber haben: eine Produktklarheit und Produktwahrheit. Das ist der entscheidende Punkt. Es gibt nicht die eine Multi-Asset-Wahrheit, die immer erfolgreich ist. Jede Strategie hat Stärken und Schwächen, die wir auch offen mit den Kunden kommunizieren müssen.
Pesarini: Die Klarheit im Produkt ist super wichtig! In der Niedrigzinsphase waren viele sogenannte Multi-Asset-Fonds doch in der Wirklichkeit verkappte Aktienfonds. Aber das Problem ist… Die Kunden schauen auf was? Richtig: Rendite, Rendite, Rendite!
Habicht: Viele Investoren sprechen neuerdings vom modernen Multi Asset. Müssen sich Multi-Asset-Anbieter wandeln und mehr Assetklassen in das Portfolio aufnehmen?
Pesarini: Ich habe die gegenteilige Erfahrung gemacht. Wir haben seit 2020 unsere Mischfonds deutlich einfacher gestaltet, um die Struktur und das Portfolio unseren Kunden besser erklären zu können. Wir haben beispielsweise Gold aus unseren Mischfonds inzwischen gestrichen und in den Portfolios die Aktienquote komplett auf US-Aktien gedreht. Dadurch haben wir unsere Fonds immer weiter fokussiert. Zweifelsfrei gibt es viele spannende Investment-Bausteine. Aber diese fokussierte Struktur können wir besser managen, besser verkaufen und uns entsprechend auch bei positiver, wie negativer Performance besser den Kunden gegenüber erklären.
Pirpamer: Wir machen genau das Gegenteil und wollen möglichst unterschiedliche, weniger korrelierte Anlageideen in unserem Mischfonds abbilden. Unser Anliegen ist es, dass wir möglichst breit diversifiziert sind. Beispiele für Beimischungen hierzu wären CAT-Bonds, Commodities oder gar CO2-Zertifikate.

Przewlocka: Am Ende ist doch das Entscheidende: Habe ich die Fähigkeiten im Team vorhanden, um eine einfache oder komplexe Struktur umzusetzen oder um diese beziehungsweise jene Assetklasse aufzunehmen. Die Performance ist entscheidend. Es gibt immer wieder Modethemen, die in den Markt gespült werden, eine tolle Performance liefern und dann verschwinden. Multi Asset soll und muss aber in jedem Umfeld und immer eine gewisse Performance als Core-Baustein liefern. Deswegen ist die Fehler-Toleranz für Mischfonds bei den Kunden deutlich geringer. Die Konsistenz und Qualität sind elementar! Und hier sind wir wieder bei der Produktklarheit und -wahrheit!
Pirpamer: Dem stimme ich absolut zu! Deswegen investieren wir auch nicht in Immobilien, weil ich mich da nicht auskenne. Ich muss wissen, was im Portfolio passiert und jedes Detail verstehen. Deswegen schließen wir auch gewisse Assetklassen, vor allem illiquide, aus.
Hermann: Wir verfolgen einen Ansatz, der auf einem neunseitigen Würfel basiert. Denn diese neun Assetklassen trauen wir uns in der Analyse und im Management zu. Es ist entscheidend, dass wir nicht nur jede Assetklasse an und für sich, sondern auch das Zusammenspiel dieser Assetklassen berücksichtigen.
Habicht: Aber kann man bei zu vielen Assetklassen nicht auch den Überblick verlieren?
Hermann: Ein Kessel Buntes ist sicher nicht das, was der Anleger haben möchte (lacht). Der Blumenstrauß sollte vielleicht mehr als die bekannten drei Farben haben. Aber natürlich müssen bei uns nicht alle neun Assetklassen immer allokiert sein. Wir investieren wie gesagt nicht zum Selbstzweck, sondern wollen uns möglichst viele Optionen offenhalten. Inwiefern und ob diese dann eingesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt. Auch wenn unser Würfel neun Seiten hat, kann ich mich nicht daran erinnern, dass wir jemals auch neun unterschiedliche Assetklassen in einem Portfolio allokiert haben.
Pesarini: Für unsere Kunden ist der größte Feind die Volatilität. Ich habe wirklich nichts gegen neun unterschiedliche Assetklassen, das bitte nicht falsch verstehen. Aber Kasse, Anleihen und Aktien sind im Vergleich zu Hochzinsanleihen oder CAT-Bonds einfach weniger volatil. Diese Assetklassen passen für Kunden, die genau wissen, was sie tun. Aber für die Breite unserer Investoren passen Aktien, Anleihen und Kasse am besten.
Przewlocka: Volatilität wird immer als etwas Negatives gesehen. Dabei bin ich auch froh über Volatilität im Markt. Denn gerade viele Multi-Asset-Produkte sind im Niedrigzinsumfeld häufig ähnlich gelaufen und die Möglichkeit zur Outperformance war einigermaßen beschränkt. Man muss mit Volatilität umgehen können, aber dann bietet sie auch unglaublich viele Möglichkeiten zur Outperformance.