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Die Welt im Krisenmodus: Ist jetzt Zeit für Nebenwerte?

Könnte trotz oder gerade wegen schwächelnder großer US-Werte jetzt die Zeit für Nebenwerte kommen? Aus US-Sicht war es lange sinnvoll, Small Caps unterzugewichten oder zu shorten, das ändert sich nach Jahren der Underperformance nun aber möglicherweise.

Autor
Henriette Schulte

Tim Habicht: Die Welt ist im Krisenmodus und die Märkte sind äußerst volatil. Ist jetzt Zeit für Nebenwerte?

Niklas Bentlage: Wir haben die letzten Jahre eine Schwäche der Nebenwerte erlebt, aber nicht auf fundamentaler Ebene aufgrund schwacher Earnings, sondern was die Bewertungen betrifft. Nebenwerte sind mittlerweile so günstig bewertet, dass kein Weg mehr daran vorbeiführt. Wenn die globalen Gelder zurück nach Europa strömen, dann auch in die Nebenwerte.

Benedikt Kirsch: Jeder kennt die klassischen Argumente für Nebenwerte: Sie sind häufig familiengeführte Unternehmen, agil, dynamisch und Hidden Champions in ihren jeweiligen Nischen. Seit es europäische Indexdaten gibt, haben sie den breiten europäischen Aktienmarkt um vier Prozentpunkte pro Jahr outperformt. Es gibt also zweifelsfrei eine langfristige Daseinsberechtigung für diese Assetklasse und rein fundamental sind das fantastische Unternehmen. Seit drei Jahren erleben sie allerdings Gegenwind und die Bewertungen liegen unter dem historischen Durchschnitt. Es ist aufgrund dieser Argumente ein spannender Zeitpunkt für einen Einstieg und die Allokation von Nebenwerten.

Birgitte Olsen: Nebenwerte sind schon länger günstig, aber es hat sich niemand trotz dieser Bewertungen für sie interessiert. Der Trigger wurde ausgelöst durch das DeepSeek-Beben, das die Magnificent Seven ein wenig zerrüttet hat und anschließend hat Donald Trump mit seiner Handelspolitik noch einen daraufgesetzt und die Märkte ins Wanken gebracht. Dadurch haben auch große Unternehmen eine Korrektur erlebt und der Blick hat sich weg von den großen Namen gerichtet. Zudem hat das deutsche Investitionspaket ganz Europa geholfen und auch die Aufmerksamkeit von US-Investoren erhalten. So ist der Fokus von den USA nach Europa gewandert. Da gibt es Small und Mid Caps, lokale Champions und sogar globale Unternehmen mit attraktiven Bewertungen.

Bentlage: Die Skepsis war aus US-Investor-Perspektive verständlich. Warum in kleine Unternehmen in Europa investieren, wenn dort Krieg herrscht und es bei den Regierungen kriselt? Das war sowohl der Grund für die Zurückhaltung als auch dafür, dass das Sentiment einfach schlecht war. Es ist aber ein großer Unterscheid zu 2003, 2009 und 2016, als die Earnings der kleineren Unternehmen auch schlechter waren und diese zurecht abgestraft wurden.

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Die Teilnehmer:
  • Birgitte Olsen, Bellevue Asset Management
  • Niklas Bentlage, LAIQON
  • Matthias Ruddeck, Point Five Capital
  • Benedikt Kirsch, Chom Capital
  • Tim Habicht, Fundview

Kirsch: Wir sind von einer Pandemie in Lieferketten- und dann in eine Energie-Krise geschlittert. Dazu kamen politische Unsicherheiten in Deutschland und Sorgen um den Haushalt in Frankreich. Wenn man das alles zusammennimmt, zusätzlich zu dem Zinsschock nach zehn Jahren Niedrigzinsphase, war es für kleinere Unternehmen völlig normal, dass sie überproportional leiden. Die Sichtweise eines US-Managers ist ein guter Punkt: Wie denkt er? Von außen beobachtet gab es genug Gründe zu sagen, dass große Unternehmen und die USA attraktiver waren – aber es hat alles seinen Preis.

Olsen: US-Anleger haben im laufenden Jahr 16 Prozent mit Small und Mid Caps in Europa erzielt, das ist eine erfrischende Entwicklung. Kapital geht den Weg des kleinsten Widerstands und mit den Währungs-Vorzeichen ist es eine Einladung für europäische Nebenwerte, die endlich auch bei der Performance zeigen, wie gut sie sind.

Matthias Ruddeck: Nebenwerte werden häufig nur mit Europa und Deutschland assoziiert, aber auch außerhalb von Europa beispielsweise in Japan gibt es spannende kleine und mittelgroße Unternehmen, die günstig bewertet sind. Die Kapitalallokations-Philosophie wandelt sich bei einzelnen Unternehmen und wenn man sich diese raussucht, besteht die Aussicht auf eine sehr erfreuliche Rendite. Aber auch andere Regionen sind attraktiv. In Deutschland sind viele Nebenwerte attraktiv in Bezug auf Bewertung und Ausblick, in den USA finde ich viele Nebenwerte nicht attraktiv, da die Bewertungen sehr hoch sind. Wenn ein Markt am Boden liegt, dauert es natürlich länger bis einzelne Titel wieder steigen, aber wenn man eine Aktie, die Gewinn-Momentum hat, günstig kauft, ist es meist sogar egal, ob der Gesamtmarkt gerade populär oder unpopulär ist. Ein Umfeld, in dem Nebenwerte günstiger sind, ist für mich attraktiver als ein Umfeld, in dem alle Nebenwerte gut gelaufen sind und so teuer geworden sind.

Kirsch: Wir führen 600 Managementgespräche im Jahr und selten bringt man so viele gute Ideen von Konferenzen mit wie aktuell. Von 30 Titeln hatten wir in den letzten sechs Monaten sechs Übernahmen. Ein Fünftel des Portfolios wurde also an einem opportunistischen Zeitpunkt weggekauft. Das Thema Private Equity ist für uns ein guter Indikator für langfristige, strategische Investoren. Das erleben wir immer öfter und zeigt uns, dass fundamental die Attraktivität hoch ist. Seit 2022 bis jetzt gibt es kumulierte Abflüsse in das europäische Nebenwerte-Segment und kurzfristig werden solche Titel nun mal von der Geldmenge der Zuflüsse getrieben. Der angelsächsische Raum hatte in 2022 Europa für ein Museum erklärt und so sind die Kurse auch gefallen. Zuflüsse folgen dem Alpha und das Alpha wird so wieder prozyklisch verstärkt. Das bedeutet, wir kommen gerade in eine Phase, in der wir relativ eine Outperformance von Small Caps sehen und wenn die Zuflüsse zurückkommen, verstetigt sich das über die nächsten Quartale und fungiert somit als positiver Katalysator.

Bentlage: Aus US-Investor-Sicht war es sinnvoll, Small Caps unterzugewichten oder zu shorten. Sich in einer volatilen Marktphase über ein Short-Exposure in den Small Caps zu hedgen war tendenziell eine gute Idee, aber das führt natürlich auch dazu, dass eine Bewegung nach oben jetzt sehr schnell passieren kann, wenn die entsprechenden Short-Positionen aufgelöst werden.

Olsen: Unsere Kunden sind immer noch wahnsinnig stark in US-Dollar und US-Aktien übergewichtet. Es war unkomfortabel, dann gab es einen Rebound und jetzt weiß niemand so genau, was man tun soll. Es gibt immer noch so viel Negativismus in Europa, weil europäische Aktien und die europäische Politik vermengt werden. Die strukturelle Schwierigkeit von Europa, dass es nicht ein einzelnes Land mit einer einheitlichen Sprache ist, bleibt bestehen. Jetzt werden wir aber fiskalisch in Europa auch endlich mal etwas ausgeben, so wie es die USA und China über Jahrzehnte getan haben, während wir nur zugeschaut haben. Ein Grenzkäufer ist vielleicht aber auch ein Large-Cap-Manager. Früher waren zwei Drittel der Nebenwerte in Large-Cap-Fonds und das wurde im Wettbewerb zu den ETFs in den letzten Jahren alles aufgegeben. Flows können Flows generieren und dann muss man sich nicht mehr die Huhn-und-Ei-Frage stellen.

Birgitte Olsen von Bellevue AM: „Es gibt immer noch so viel Negativismus in Europa“
Birgitte Olsen von Bellevue AM: „Es gibt immer noch so viel Negativismus in Europa“

Habicht: Müssten Sie Trump eigentlich für die Rückabwicklung der Globalisierung danken? Davon könnten nämlich vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen profitieren, die keine globalen Player sind.

Olsen: Wenn der globale Handelskrieg ausbricht, brauchen wir gar keine Aktien mehr (lacht). Es geht auch uns besser, wenn es den USA einigermaßen gut geht. Es bleibt die Frage, ob alles von Trump nur Drohgebärden sind oder es einen festen, strategischen Plan gibt. Es ist aber nicht unser Job, Trump-Long oder Trump-Short zu gehen. Man tut sich gut damit, in Unternehmen zu investieren, die man gut versteht und die ihre Bilanzen im Griff haben.

Bentlage: Ich finde es wichtig, dass wir in Europa sowohl politisch als auch wirtschaftlich wieder ein aufgeräumtes Bild abgeben. Viele Unternehmen haben gesagt, sie würden nie wieder in Deutschland investieren und in aktuellen Gesprächen scheint durch, dass eine gewisse Hoffnung für das eigene Land besteht. Es kann nur gut für europäische Nebenwerte sein, sich mal wieder um sich selbst zu kümmern und sich nicht zu abhängig von den USA und anderen Regionen zu machen. Wenn Europa sich auf seine Stärken besinnt, dann kommen auch die Flows der ausländischen Investoren.

Kirsch: Man kann Trump insofern danken, dass er unbewusst einige europäische Einigungsprozesse vorangetrieben hat, die Europa ohne diesen Druck vielleicht nicht umgesetzt hätte. Die Europäer realisieren nicht nur, dass die USA bald vielleicht schon nicht mehr das militärische Schutzschild sind, sondern auch, dass es für die technologischen Dienstleistungen, die wir in Anspruch nehmen, sehr rapide andere Bedingungen geben kann. Wir müssen bereit sein, uns davon nicht komplett abhängig zu machen und unseren eigenen Weg mit souveräner europäischer Infrastruktur zu gehen.

Ruddeck: Der Exporteur in Asien wird sich bei Trump sicherlich nicht für die neuen Handelszölle bedanken. Trotzdem wird es Unternehmen geben, die beispielsweise von fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen profitieren könnten. Wichtig dürfte sein, wie lange die Unsicherheiten in Bezug auf die Handelspolitik anhalten werden. Planungssicherheit ist für die meisten Unternehmen entscheidend.

Habicht: Ist die aktuelle Outperformance der Nebenwerte auf die Schwäche der großen Unternehmen und der US-Märkte oder auf die Stärke Europas und der Nebenwerte zurückzuführen?

Olsen: Es ist vor allem eine wahnsinnige Opportunität, weil die Bewertungen so niedrig sind, aber es gab lange Zeit keinen Trigger; jetzt gibt es beides: äußerst günstige Bewertungen und einen Katalysator für positive Märkte.

Bentlage: Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir von einer Outperformance reden. Die ganz große Outperformance habe ich beim Vergleich vom DAX zum SDAX noch nicht gesehen, das ist nur ein minimaler Unterschied…

Matthias Ruddeck von Point Five Capital: „Die Analyse der einzelnen Unternehmen sollte immer im Vordergrund stehen“
Matthias Ruddeck von Point Five Capital: „Die Analyse der einzelnen Unternehmen sollte immer im Vordergrund stehen“

Olsen: Es ist aber schon erfrischend, wenn die Small und Mid Caps nicht mehr so underperformen, wie es in den letzten drei Jahren der Fall war. Insofern besteht auf jeden Fall die Hoffnung, dass die aktuell positive Performance eine nachhaltige sein wird.

Habicht: Was haben Sie in den letzten Krisenjahren gelernt und was wird mit Blick nach vorne besonders wichtig?

Bentlage: Ich habe gelernt, dass es manchmal länger dauern kann, als man glauben mag und, dass Geduld und Überzeugung wirklich wichtige Faktoren sind.

Kirsch: Dem schließe ich mich an. Management-Qualitäten sind nach wie vor essenziell. Ein schlechter Manager kann auch mit einem guten Geschäftsmodell eine schlechte Wertentwicklung herbeiführen und ein guter Manager auch in schwierigen Zeiten sehr resiliente Entwicklungen liefern. Das hat sich nach wie vor bewahrheitet und wird auch nach vorne hinaus wichtig bleiben.

Olsen: Es ist einfach ein toller Job. Man trifft wahnsinnig inspirierende Leute mit tollen Geschäftsideen und man wird bezahlt dafür, mit ihnen zu reden, das ist großartig. Da sollte man mit seiner Zeit einfach sinnvoll umgehen, denn es gibt auch viele Schwätzer. Hier müssen wir in schwierigen Zeiten noch genauer hinschauen.

Ruddeck: Die letzten Jahre waren sehr von makroökonomischen Entwicklungen geprägt. Es ist aber sehr schwer, bei Makro-Prognosen mehrheitlich richtig zu liegen. Besonders, wenn sie von Entscheidungen von Einzelpersonen wie bei Trump abhängig sind. Es ist daher wichtig, das Makro-Umfeld im Blick zu halten, aber die Analyse der einzelnen Unternehmen sollte immer im Vordergrund stehen.

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