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Comeback oder Krise? Nebenwerte und Deutschland-Standort in der Diskussion

Im vergangenen Jahr gerieten Nebenwerte unter Druck. Folgt nach der Korrektur jetzt der Aufschwung? Fünf führende Nebenwerte-Manager diskutieren beim exklusiven Roundtable von Fundview ein mögliches Comeback von Nebenwerten, ihre aktuelle Ausrichtung und warum Deutschland trotz aller Kritik weiterhin ein attraktiver Investment-Standort ist.

Autor
Tim Habicht

Tim Habicht: Frau Raatz, das vergangene Jahr war äußerst schwierig für Nebenwerte. Und auch in diesem Jahr fällt die Nebenwerte-Erholung durchaus schleppend aus. Warum ist jetzt dennoch ein guter Zeitpunkt, sein Nebenwerte-Exposure aufzustocken?

Katharina Raatz: Das Potenzial im Nebenwerte-Bereich ist zweifelsfrei sehr groß; wenn man die richtigen Unternehmen selektiert. Das Gewinnwachstum bei den meisten Unternehmen ist weiterhin gut und die Bewertung dieser Unternehmen ist sehr attraktiv. Die Bewertung dabei nicht nur im Vergleich zur eigenen Historie, sondern auch und vor allem im Vergleich zu Large Caps. Das bedeutet, dass sehr viel Negativität eingepreist ist. Das könnte entsprechend für einen guten Einstiegszeitpunkt sprechen.

Björn Glück: Dem kann ich nur zustimmen. Das Sentiment ist aktuell sehr negativ und viele Investoren zeigen eine große Risiko-Aversion. Wir haben seit dem Krieg in der Ukraine multiple Krisen, die sich auf die schon länger anhaltende negative Performance der Nebenwerte, auswirken. Aber die Bewertungen sind aktuell wirklich sehr günstig und sehr attraktiv. Das kann nicht ewig so bleiben.

Habicht: Aber wenn etwas günstig bewertet ist, dann ist es manchmal auch zurecht günstig bewertet…

Philipp Stumpfegger: Das würde ich nicht sagen. Der Nebenwerte-Bereich ist aber tatsächlich häufig nachlaufend. Der DAX war beispielsweise Mitte September nah an seinen Höchstständen. Der SDAX und MDAX sind noch deutlich davon entfernt. Der Kaufdruck für Nebenwerte kommt dann häufig von oben herab, wenn Generalisten im Large-Cap-Bereich keine günstigen Bewertungen mehr finden, schauen sie häufig in der zweiten oder dritten Reihe nach günstigen Investment-Opportunitäten. Und diese Opportunitäten sind zweifelsfrei vorhanden. Deswegen finde ich die Situation vom Timing aktuell auch sehr spannend. Das Aufholpotenzial ist riesig!

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Die Teilnehmer:
  • Katharina Raatz, Berenberg
  • Philipp Stumpfegger, DJE Kapital
  • Björn Glück, Lupus alpha
  • Matthias Ruddeck, Point Five Capital
  • Felix Gode, Alpha Star Capital

Habicht: Gilt das für Nebenwerte im Value-Bereich umso mehr?

Matthias Ruddeck: Nur auf Nebenwerte würde ich das nicht beschränken. Bei Large Caps aber auch bei Nebenwerten gibt es so viele unterschiedliche Länder, Sektoren und Unternehmen. Es gibt immer Sektoren, die gut laufen und Sektoren, die nicht so gut laufen. Aber unter dem Strich gibt es derzeit wahrlich viele spannende Investment-Opportunitäten im Value-Bereich. Dieses durchaus herausfordernde Umfeld ist auf jeden Fall sehr gut für echte Stock Picker.

Habicht: Ist Stock Picking in diesem Krisen-Umfeld umso wichtiger?

Felix Gode: Definitiv! Weil wir uns durch aktives Stock Picking teilweise von externen Einflüssen entziehen können. Nehmen wir als Beispiel die steigenden Materialpreise. Da sind Unternehmen besonders getroffen, die in diesen Segmenten ein großes Exposure haben. Aber wir waren in dieser Phase vor allem im Software-Bereich investiert und konnten uns zumindest unabhängig von dieser Problematik aufstellen. Das ist der große Vorteil vom Stock Picking.

Habicht: Aber hat sich Stock Picking in den vergangenen Jahren wirklich ausgezahlt? Denn die fundamentalen Daten waren nicht immer für alle Investoren von großer Bedeutung.

Glück: Stock Picking hat sich tatsächlich in den vergangenen zwölf bis 18 Monaten nicht wirklich ausgezahlt. Es gibt zweifelsfrei Ausnahmen. Aber insgesamt konnten vor allem Micro-Caps berichten, was sie wollten, es hat wenige Investoren leider interessiert. Und wenn es eine Erholung gab, dann war diese Rallye eher kurzfristig. Das ist für uns als aktive Stock Picker natürlich auch teilweise frustrierend. Aber es ist nicht das erste Mal, dass wir dieses Phänomen sehen. Diese Phasen sind immer temporär und die fundamentalen Daten werden sich letzten Endes auch durchsetzen.

Gode: Wir müssen als Investoren allerdings auch immer unterscheiden zwischen der operativen Entwicklung der Unternehmen und der Bewertung der Aktien dieser Unternehmen. Vor allem qualitativ bessere Unternehmen haben sich gut über die negativen Einflüsse manövrieren können und ein starkes Gewinnwachstum zeigen können. Auf der anderen Seite ist durch die Zins-Thematik das Bewertungsniveau relativiert worden. Damit ist eine signifikante Schere zwischen Gewinnwachstum und Börsenbewertung aufgegangen.

Stumpfegger: Das gilt auch für uns und unseren Nebenwerte-Fonds. Hier sind wir aktuell im historischen Vergleich in der unteren Spanne der Bewertungen. Das ist nicht, weil wir einen Style-Wechsel von Growth zu Value vorgenommen haben. Wir setzen dasselbe Konzept mit denselben Screenings wie seit Start der Strategie im Jahr 2016 um. Aber die Bewertungen sind schlicht und ergreifend nach unten gegangen.

Ruddeck: Aber das Schöne als Stock Picker ist ja, dass es irgendwo auch immer Unternehmen und Branchen gibt, die beispielsweise selbst in einem Bärenmarkt eine positive Performance abliefern können. Deswegen sind wir auch mit unserem Fonds global aufgestellt, um hier so flexibel wie möglich agieren zu können. Aber natürlich müssen wir deswegen auch insgesamt sehr aktiv agieren.

Philipp Stumpfegger von DJE: „Im historischen Vergleich in der unteren Spanne der Bewertungen“
Philipp Stumpfegger von DJE: „Im historischen Vergleich in der unteren Spanne der Bewertungen“

Habicht: Sehr aktiv agieren heißt, dass es für Buy-and-Hold-Investments keine Zukunft mehr gibt?

Ruddeck: Das würde ich generell so nicht sagen. Aber klar ist, dass ein Buy-and-Hold-Ansatz insgesamt deutlich schwieriger geworden ist. In unserem günstigen Value-Segment gibt es selten einen Buy-and-Hold-Ansatz, es sei denn, es handelt sich um eine langfristige Turnaround-Story. Prinzipiell befinden wir uns aber in einer schwankungsreichen Marktphase, in der sich die Märkte eher seitwärts bewegen. Darauf haben wir durch ein aktives Management reagiert, um die entsprechende Volatilität gut auszunutzen.

Gode: Das setzen wir anders um und wir investieren weiterhin mittel- bis langfristig und sehen schon generell auch für diese Marktphase einen Buy-and-Hold-Ansatz als sinnvoll an. Wir haben an unserem Investment-Ansatz nichts geändert und wollen weiterhin langfristig bei unseren Unternehmen investiert sein. Aber wir fokussieren auch nur 20 Aktien aus Deutschland und sind hier fokussierter aufgestellt; trotz der anhaltenden Volatilität und der vielfältigen Krisen.

Habicht: Gilt es in diesem Umfeld sein Portfolio jetzt krisenfest aufzustellen?

Glück: Von der Bilanzstruktur auf jeden Fall, das ist erste Bürgerpflicht in diesem hohen Zinsniveau. Wenn es zudem von der Konsumentenseite heftig kommt, sollte man in Aktien investiert sein, deren Bilanzen einwandfrei und sturmerprobt sind.

Raatz: Das sehen wir auch so, gerade im Small-Cap-Bereich ist es sehr wichtig auf Qualität zu achten. Denn europäische Small-Caps haben eine deutlich höhere Verschuldung als europäische Standardwerte. Eine hohe Qualität bei Unternehmen bedeutet für uns sich auf Unternehmen mit einer geringen Netto-Verschuldung und hohen Preissetzungsmacht zu fokussieren. Diese Unternehmen sind dann auch gut für Krisenzeiten aufgestellt. Denn klar ist und das haben die vergangenen Jahre gezeigt: Die nächste Krise wird kommen.

Habicht: Apropos Krise: Der Industriestandort Deutschland wird derzeit heiß diskutiert und steckt in einer Krise. Hat das Auswirkungen auf Ihre Strategie?

Glück: Natürlich würde ich mir mehr Rückenwind von der deutschen Politik für den Standort Deutschland wünschen. Viele Unternehmen haben wirklich zu kämpfen. Nicht nur mit dem hohen Energiepreis, sondern vor allem durch die Bürokratie. Eine Regulierung jagt die nächste. Wir können wirklich sagen, dass wir mit weitem Abstand Regulierungs-Weltmeister sind. Das muss zurückgedreht werden. Was mir aber Hoffnung macht: Das sind alles hausgemachte Probleme, die wir beheben und lösen können, wenn wir und die Politik diese Probleme richtig anpacken. Hier stellen wir inzwischen aber einen positiven Wandel in der Kommunikation fest. Genau aus den genannten Gründen sind zyklische Unternehmen derzeit sehr günstig bewertet und auch wir würden hier wieder sehr gerne mehr Exposure aufbauen. Dafür benötigen wir aber Rückenwind von der Standortpolitik. Wir waren vor 20 Jahren bereits einmal der kranke Mann Europas und haben das durch beherzte Politik gedreht.

Gode: Wenn der Wille da ist, können wir das zweifelsfrei drehen. Aktuell sehen wir aber vor allem schon im Infrastruktur-Bereich, das etwas passiert. Der Groschen ist gefallen und Rahmenbedingungen für die Unternehmen werden sich verbessern. Zumal wir in Deutschland wirkliche Hidden Champions, das Bildungskapital und eine entsprechende Finanzkraft haben. Ich bin durchaus optimistisch, dass wir aktuell nur eine vorübergehende Situation und nicht den Niedergang des Standortes Deutschland erleben.

Felix Gode: „Wir erleben nicht den Niedergang des Standortes Deutschland“
Felix Gode: „Wir erleben nicht den Niedergang des Standortes Deutschland“

Habicht: Frau Raatz, Sie verantworten einen Europa-Fonds. Welche Rolle spielt Deutschland da für Sie?

Raatz: Da wir in unserer Strategie Unternehmen aus ganz Europa allokieren können, können wir bei der Auswahl an Unternehmen deutlich selektiver sein – schließlich ist unser Investment-Universum größer. Zwar gibt es in Deutschland attraktive Unternehmen aus den Bereichen Industrie, Software und Medizintechnik. Aber im europäischen Vergleich fallen die Wachstumsraten bei den deutschen Unternehmen ab. Deswegen gewichten wir aktuell Deutschland beziehungsweise deutsche Unternehmen leicht unter. Wir finden einfach attraktivere Möglichkeiten im restlichen Europa.

Habicht: Bei Ihnen steckt schon die Innovation im Fonds-Namen. Fehlt es deutschen Unternehmen generell an einer gewissen Innovation?

Stumpfegger: Grundsätzlich ist die derzeitige Krise in Deutschland auch für uns und unseren Fonds ein Thema, das wir annehmen müssen. Ich bin aber der Meinung und froh, dass diese Problematik inzwischen auch in der Politik angekommen ist. Jetzt muss entgegengesteuert werden. Aber die Unternehmen, die aktuell besonders auf der Value-Seite leiden, sind für unsere Strategie, die Wachstumsunternehmen fokussiert, nicht im Fokus. Lediglich rund zehn Prozent unseres Portfolios sind energieintensiv.

Habicht: Herr Ruddeck, Sie verwalten ein globales Portfolio. Wieso haben Sie sich nicht als deutscher Fonds-Berater auf deutsche Aktien fokussiert – spielte bei der Fondsauflage der Standort Deutschland eine Rolle?

Ruddeck: Das hat nichts mit dem Standort oder per se mit deutschen Aktien zu tun. Aus meiner Sicht gibt es in Deutschland insgesamt einfach zu wenige Aktien. Mehr Aktien beziehungsweise ein größeres Investment-Universum bedeuten mehr Auswahlmöglichkeiten. Wir wollen wie bereits beschrieben möglichst flexibel agieren und deswegen die größtmögliche Auswahl an Unternehmen für die jeweilige Marktphase haben. Wir suchen immer nach günstig bewerteten Aktien, die natürlich aus einem gewissen Grund auch günstig bewertet sind und dahingehend analysiert werden müssen…

Habicht: … dann müsste es in Deutschland doch genug Auswahl geben? (lacht)

Ruddeck: Es gibt in Deutschland schon noch genug attraktive Titel und Unternehmen. Aber andere Regionen, wie beispielsweise Japan, finden wir aktuell einfach spannender. Es geht nicht darum, was aktuell gut ist, sondern wo wir die besten Unternehmen finden. Deswegen haben wir aktuell nur eine Allokation von rund 15 Prozent in Deutschland.

Matthias Ruddeck hat nur ein Deutschland-Exposure von rund 15 Prozent
Matthias Ruddeck hat nur ein Deutschland-Exposure von rund 15 Prozent

Habicht: Trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten bleibt Deutschland provokant gesagt also weiter investierbar?

Gode: Definitiv bleibt Deutschland noch investierbar. Deutschland ist noch immer einer der wichtigsten Standorte der Welt mit soliden Strukturen und einer großen Anzahl an Weltmarktführern. Auch, wenn es sich derzeit so anfühlt, dass wir in einigen Strukturen schwächeln, bin ich optimistisch, dass sich der Standort Deutschland auch wieder erholt.

Habicht: Aber Frau Raatz findet beispielsweise bessere Unternehmen außerhalb von Deutschland, oder?

Raatz: Das würde ich nicht so sagen. Deutschland ist wie Schweden oder die Niederlande ein Innovationsführer in der Europäischen Union (EU). Wir finden weiterhin hoch attraktive und wachsende Unternehmen in Deutschland. Aber da wir die Möglichkeit haben, innerhalb von ganz Europa zu investieren, ist es hier immer auch eine gewisse Abwägungssache.

Glück: Wir haben zweifelsfrei immer noch genug Hidden Champions in Deutschland, die sich trotz des schwierigen Umfeldes und den schlechten Standortbedingungen durchsetzen werden. Darüber hinaus erwarte ich auch eine Wende bei den Strukturen. Die meisten Probleme sind hausgemacht und können auch wieder gelöst werden.

Stumpfegger: Dem stimme ich zu. Auch wir finden weiterhin innovative Titel in Deutschland. Der Industriestandort Deutschland ist momentan zwar unter Beschuss, aber die Politik hat das mittlerweile auch verstanden und wird hier Gegenmaßnahmen einleiten. Natürlich ist es derzeit etwas holprig, aber in fast jedem Jahr gibt es für die Industrie Herausforderungen. Viele Sektoren, wie beispielsweise die Automobil-Industrie, stehen vor schwierigen Zeiten. Aber ich sehe Deutschland weiterhin als spannenden und attraktiven Markt an.

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